Überwindung der Kapitallücke zu einer 100% erneuerbaren Energieversorgung

Tags: Digitalisierung Fintech

Es ist ein Prinzip guten Wirtschaftens, den Kapitalstock zumindest zu erhalten, damit dieser nachhaltig Erträge erwirtschaften kann. Dieses Prinzip gilt umso mehr für Volkswirtschaften, um ihre künftigen Generationen nicht schlechter zu stellen. Jährlich werden weltweit knapp 2,5 Billionen USD in Energie-, Transport-, Wasser und Kommunikationsinfrastruktur investiert. Nötig wären aber gemäß der McKinsey-Studie «Bridging global infrastructure gaps» 3,3 Billionen USD pro Jahr, um die globalen Wachstumserwartungen erfüllen zu können. Rund 60 % dieses Bedarfs besteht in den Entwicklungs- und Schwellenländern1.

Der größte Anteil dieses Investitionsbedarfs entfällt mit rund 1 Billion USD pro Jahr auf den Energiesektor1. In erneuerbare Energien wird jährlich immerhin mehr als 200 Milliarden USD investiert2, weiterhin mit stark wachsender Tendenz. Die nach wie vor sinkenden Kosten für Investitionen in erneuerbare Energien verstärken diesen Trend ungebrochen. Dennoch bleibt die Frage offen, warum global so wenig Kapital in Infrastrukturvorhaben fließt und eine globale Investitionslücke von knapp 1 Billion USD pro Jahr klafft. Schließlich liegt auch ein Kapitalangebot in nie da gewesener Höhe bereit, worauf das anhaltend tiefe Zinsniveau in den wichtigsten Währungsräumen schließen lässt. Warum findet dieses Kapitalüberangebot nur langsam zu Real-Assets und wie kann man vor allem den Ausbau von erneuerbaren Energien beschleunigen?

Bruchstellen in der Investitionswertschöpfung

Ein Infrastrukturvorhaben beginnt in der Regel mit dem Projektentwickler. Dieser Initiator agiert als Risikotransformator, indem er sich lokal und technisch spezialisiert und Grundstücke sichert, Genehmigungen sowie in den meisten Fällen auch den Bau organisiert. Das Verlustrisiko nimmt im Projektverlauf sukzessive ab – insbesondere ab der Baureife bis zur Inbetriebnahme einer Anlage. Dies sind perfekte Eintrittszeitpunkte für langfristig orientierte, eher risikoaverse Investoren wie es institutionelle Investoren oft sind – bei erneuerbaren Energien im Speziellen auch Stadtwerke und Energieversorger. In diesem Prozessstadium steigen auch Projektfinanzierungsbanken mit Fremdkapital in ein Projekt ein. Selbsterklärend, dass für den Projektentwickler die Geschwindigkeit bei der Suche nach der langfristigen Finanzierung sehr wichtig ist, um die risikotransformierende Rolle wahrnehmen zu können. Mit jedem Projektverkauf kann er seine Bilanz entlasten und vereinnahmt eine Marge, um neue Projekte in Angriff nehmen zu können.

Eine weitere wichtige Rolle in der Projektfinanzierung spielen Berater, die als wirtschaftliche, technologische oder rechtliche Know-how-Träger und Vermittler zwischen den Parteien agieren. Diese Experten sorgen für einen Wissenstransfer, der aber aufgrund der überwiegend persönlichen Beziehungen oft begrenzt bleibt. Investitionswertschöpfungsketten von erneuerbaren Energien sind ein Wechselspiel aller Akteure. Bei der Projektfinanzierung geht es immer auch darum, die Risiken derjenigen Partei zu übergeben, die diese Risiken am besten tragen oder kontrollieren kann. Der Private-Equity-Charakter von erneuerbaren Energien – Infrastrukturvorhaben sind in der Regel nicht börsennotiert – führt bei jeder Transaktion zu Bruchstellen in dieser Wertschöpfungskette, die von langwierigen Wertberechnungen und Vertragsverhandlungen begleitet werden.

Dezentral trifft auf institutionelles Großkapital

Der Markt für erneuerbare Energien ist gekennzeichnet durch dezentrale Erzeugungsformen. Großprojekte finden sich nur in speziellen Nischen wie zum Beispiel Offshore-Wind, oder in Ländern, wo die Regulation eher Größenvorteile begünstigt. Typische Investitionsvolumina für erneuerbare Energieprojekte sind ein- bis zweistellige Euro-Millionenbeträge. Das ist deutlich weniger als bei Großprojekten mit konventionellen Energievorhaben, wo nicht selten über eine Milliarde Euro pro Projekt investiert wird.

Die Nachfrageseite für erneuerbare Energieinvestitionen ist ähnlich heterogen wie die Angebotsseite. In der Pionierphase waren Privatinvestoren anzutreffen, die langsam durch Bürgerbeteiligungen abgelöst wurden. Ab 2010 haben sich die in erneuerbare Energien investierenden Akteure stark professionalisiert. Neben kommunalen Stadtwerken und Energieversorgern als strategischen Investoren sind seitdem vermehrt institutionelle Investoren anzutreffen. Letztere haben erkannt, dass direkte und vor allem auch indirekte Investitionen in fossile Ressourcen sehr hohe Bewertungsrisiken – auch bekannt als Carbon-Bubble – bergen. 80 % der bekannten und damit bewerteten fossilen Ressourcen müssten im Boden bleiben, um die Erde um nicht mehr als zusätzliche 2 °C aufzuheizen3. Die Carbon-Tracker-Initiative schätzt für diesen Fall, dass exponierte Börsen wie London, São Paulo, Moskau, Sydney und Toronto, 20–30 % ihrer kompletten Marktkapitalisierung verlieren könnten. Die damit einhergehende Dekarbonisierung von institutionellen Portfolios hat deshalb bereits prominente Beispiele wie den Rockefeller-Fund hervorgebracht4.

Investieren Großinvestoren in erneuerbare Energien, dann wenden sie häufig die Vorgehensweise an, die sie aus der klassischen Finanzierung von großen Projekten gewohnt sind. Sie sind dabei auf hohe Investitionsvolumina und stabile Ertragsprofile bei nur kleinem Risiko mit minimalen Transaktionskosten aus. Folglich gehen diese in der Regel Entwicklungs- und Baurisiken aus dem Weg und suchen nach größeren Anlagen, die bereits ein bis zwei Jahre in Betrieb sind. Das kann zumindest ein Erklärungsansatz dafür sein, dass diese Investoren (noch) nicht dazu beitragen, die Kapitallücke zu überwinden.

Die Kapitallücke überwinden

Die am häufigsten diskutierten Lösungsansätze für die Überwindung der Kapitallücke betreffen die politische Sphäre. Hier spielt die Reduktion von bürokratischen Hindernissen eine große Rolle. Geschwindigkeit ist wichtig für Projektentwickler, zentrale und professionalisierte Genehmigungsverfahren haben positive Effekte. Auch möglichst einfache, aber dennoch marktintegrierte Einspeisevergütungs-Regimes für erneuerbare Energien wirken in dieselbe Richtung. Dies ist bei erneuerbaren Energien besonders wichtig, denn die Strombörsen orientieren sich an Grenzkosten, also am Preis für eine zusätzlich produzierte Kilowattstunde. Und weil erneuerbare Ressourcen wie Sonne und Wind für ihre Leistung keine Rechnung stellen, tendiert der Börsenpreis für Strom mit hohen Anteilen an erneuerbaren Energien gegen Null. Einspeisevergütungen sorgen dafür, dass die Vollkosten der Anlage (insbesondere die initial anfallenden Investitionskosten) mit berücksichtigt werden.

Auf der Nachfrageseite fehlt es an sinnvollen Investitionskriterien für die sehr langfristigen Investitionshorizonte und die oben thematisierte Übernahme von Entwicklungs- und Baurisiken bei Real-Assets. Die Finanzregulation anerkennt die Charakteristika von erneuerbaren Energien als eigene Assetklasse noch viel zu wenig, auch wenn beispielsweise in der EU mit dem ELTIF (European long-term investment fund) gute Ansätze erkennbar sind5. In Sachen Infrastruktur kann auch der Staat in Gestalt von Bund, Land, Kommune oder als öffentliches Stadtwerk als Investor auftreten. Die global hohe Staatsverschuldung lässt hier aber eher wenig für die Zukunft erwarten und häufig ist das Expertenwissen für erneuerbare Energien und Projektfinanzierung gerade dort nur bedingt vorhanden.

Standardisierung und Know-how-Transfer

Bei Investitionen in erneuerbare Energien handelt es sich um einen Markt mit Private-Equity-Charakter, wobei die Projekte von interessierten Investoren individuell bewertet werden. Dabei kommt es aufgrund des zeitlichen Drucks häufig zu handwerklichen Fehlern während des Due-Diligence-Prozesses und insbesondere in der Finanzmodellierung. Diese Gefahr gilt für sämtliche Investitionen, dennoch ist sie bei erneuerbaren Energien besonders ausgeprägt, da sich eine erhöhte Anfangsinvestition über die Lebensdauer eines Kraftwerks kaum mehr korrigieren lässt. Projektspezifische, illiquide Infrastrukturvorhaben standardisiert zu digitalisieren und damit Transparenz und Effizienz bei der Wert- und Preisbestimmung herzustellen, kann deshalb einen echten Beitrag darstellen, um die Kapitallücke zu schließen. Finanztechnologien (FinTechs) können in diesem Segment daher bottom-up ansetzen.

Weltweit sind erst wenige FinTechs anzutreffen, die sich mit erneuerbaren Energien als Assetklasse auseinandersetzen. Zwar existieren einige digitale Marktplätze, die aber größtenteils Funktion und Qualität eines Schwarzen Bretts mit einfachen Projektbeschreibungen nicht übersteigen. Mögliche Käufer und Investoren sind auf ihr persönliches Netzwerk angewiesen. Andere Start-ups fokussieren sich auf den softwareunterstützten optimierten Betrieb der Assets. Dies sind wichtige Ansätze, nützen aber für die Überwindung von Transaktionsbruchstellen eher wenig.

Ein Beispiel für ein FinTech, das sich auf die digitale finanzielle Strukturierung von Investitionen in erneuerbare Energien spezialisiert hat, lässt sich in der Schweiz finden: Greenmatch6 standardisiert Wirtschaftlichkeitsberechnungen – technologieunabhängig, global, ohne Spreadsheets und mit einem zertifizierten Rechenkern. Auf der Plattform können Projekte in einem gesicherten Umfeld direkt mit Anspruchsgruppen geteilt oder via Marktplatz samt dazugehörigem Finanzmodell präsentiert werden. Damit bringt die Plattform zurück, was Marktteilnehmer seit Urzeiten auf Marktplätzen tun: Verträge sowie vor allem Preise verhandeln – und nicht über Berechnungsmethoden diskutieren7. Dies ermöglicht eine schnellere Evaluation der Projektpipeline durch Investoren und Banken bei standardisierten und damit vergleichbaren Annahmen. Die Projektentwickler wiederum können langfristige Investoren viel effektiver erreichen. Die gesteigerte Transaktionseffizienz und Nachvollziehbarkeit reduzieren Risiken und Transaktionskosten für alle involvierten Parteien. Mit dieser Strategie geht auch ein globaler Know-how-Transfer einher. Projektfinanzierungswissen ist so nicht mehr bei einigen wenigen Experten gebündelt – im Gegenteil: lokales und spezifisches Wissen wird durch den Einbezug eines globalen Partnernetzwerkes rasch gefunden. Mit Hilfe solcher Plattformen werden Real-Assets börsenähnlich und damit effizienter handelbar und bilden damit einen wichtigen Baustein für die Überwindung der Kapitallücke für eine 100%ige erneuerbare Energieversorgung.

Dieser Artikel ist ebenfalls in The Beam und Sonne Wind & Wärme – Artikel nicht mehr aufrufbar erschienen.

Bildnachweis: Pixabay

Author

Matthias Stettler, Chairman & Founder, greenmatch AG

www.greenmatch.ch

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greenmatch ist die führende webbasierte Software für die Finanzmodellierung von erneuerbaren Energien. Die hochflexible Applikation bildet den gesamten finanziellen Projektlebenszyklus Ihrer Wind-, Photovoltaik-, Hydro- und Biomasse-Projekte ab und optimiert Ihren Workflow. Durch den kooperativen und integrativen Ansatz können Projekte effizienter, nachvollziehbarer und verlässlicher analysiert und umgesetzt werden. Unsere Lösungen befähigen Investoren, Projektentwickler und Banken verlässliche Entscheidungen zu treffen und ihren Transaktionserfolg zu steigern. greenmatch ist ein innovatives Gegenmodell zur Begrenztheit klassischer Spreadsheet-Applikationen.

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Quellenangabe:

1Jonathan Woetzel et al., «Bridging global infrastructure gaps», McKinsey Global Institute, June 2016.

2Angus McCrone et al., «Global trends in renewable energy investment 2017», Frankfurt School-UNEP Centre/BNEF, 2017.

3Carbon Tracker Initiative, «Unburnable Carbon – Are the world’s financial markets carrying a carbon bubble?», 2011.

4Rockefeller Family Fund, «RFF’s decision to divest, 2016».

5Regulation (EU) 2015/760 of the European Parliament and of the Council of 29 April 2015 on European long-term investment funds, 2015.

6Greenmatch AG, webbased financial modelling of renewable energies, 2017.

7Zenke, Harald. D., «Shape Digital Transformation – Chances and Risks for the German Economy, Part I», 2016.

Autor:

Matthias Stettler, greenmatch AG

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