Blockchain: Das Internet der Vermögenswerte wird die Finanzwelt verändern

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Die dritte industrielle Revolution ist in aller Munde. Die fortschreitende Digitalisierung nimmt sich eine Branche nach der anderen vor. Das Internet hat zuerst das Post- und Telefonwesen, das Verlagswesen und die Musikindustrie auf den Kopf gestellt. Es folgten neue Geschäftsmodelle wie etwa Uber oder Airbnb im Taxi- und Hotelleriegewerbe. “Innovation durch schöpferische Zerstörung” nannte der Ökonom Joseph Schumpeter solche Veränderungsprozesse. Das Internet verändert unser Handeln und Denken in horrender Geschwindigkeit. Und das fast ohne Grenzkosten zu verursachen.

Ich höre oft Digitalisierungsdiskussionen über bevorstehende Risiken, aber ich möchte vor allem auf Chancen eingehen. Chancen bieten sich insbesondere für erneuerbare Energien – in diesem Artikel als finanzielle Realwertinvestition betrachtet. Wie das “Internet der Dinge” verknüpft auch das “Internet der Vermögenswerte” die virtuelle mit der realen Welt. Es sind die FinTechs (Finanztechnologien), welche die Gunst der Stunde nutzen und die Strukturen der Finanzindustrie – die immerhin seit der letzten industriellen Revolution im 19. Jahrhundert existieren – aufbrechen.

Aber was ist eine industrielle Revolution? Es sind primär Entwicklungssprünge die zuvor gültige Gewissheiten auf den Kopf stellen – wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische und kulturelle.

Vor mehr als 10.000 Jahren: Die neolithische Revolution

Vor mehr als 10.000 Jahren wurden die Jäger und Sammler sesshaft. Davor waren die Menschen in kleinen Gruppen als Nomaden dem Angebot der Sonne hinterhergezogen. Mit dem Sesshaftwerden wurde das solare Energiesystem durch den Menschen in Form von Ackerbau und Viehzucht modelliert.

Als gesellschaftliches Organisationsprinzip hat sich darauf aufbauend der Feudalismus entwickelt. Es ging darum, Ackerland und Wälder gemeinschaftlich zu verwalten und vor Übernutzung zu schützen. Dabei schien es effizient, dies durch die Vergabe von Lehensrechten gegen Loyalität top-down zu organisieren. Dieses System war dezentral strukturiert, die Kommunikation nicht schneller, als die Pferde galoppieren konnten. Städte haben sich vom angrenzenden Umland ernährt, mittelalterliche Grossstädte hatten nur wenige zehntausend Einwohner. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung haben sich als Bauern verdingt, nur eine kleine Elite lebte von den Produktionsüberschüssen und organisierte Politik, Glaubenspflege, handwerkliches Gewerbe, Kultur und Militär. Das Bevölkerungswachstum war sehr bescheiden, weil man – ausser inkrementellen technologischen Fortschritten in der Bewirtschaftung des Ackerlandes – nicht mehr vom Boden nehmen konnte, als dieser an Nahrungsenergie bereitstellte. Die Erfindung des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts war Vorbote einer weiteren industriellen Revolution.

Die industrielle Revolution

Die feudale Gesellschaftsform hat sich ab dem Ende des 18. Jahrhunderts stark verändert. Erneut gab eine Veränderung in der Energienutzung den Ausschlag. Die Erfindung der Dampfmaschine hat es der Menschheit ermöglicht, vor Millionen von Jahren gespeicherte solare Energie in Form von Kohle und später Öl und Gas nutzbar zu machen. Diese bis heute existierende Transformationsgesellschaft ist weder nachhaltig (da die genutzten Ressourcen endlich sind) noch effizient (da die solare Energie vor Urzeiten abgespeichert wurde und nur mit schlechten Wirkungsgraden in Nutzenergie umgewandelt werden kann). Aber sie ist höchst erfolgreich – sofern man die Konsequenzen für nachfolgende Generationen ausklammert: Die Bevölkerungszahlen explodierten, bis heute entstehen urbane Megametropolen.

Dank synthetischem Dünger – der ebenfalls auf die Nutzbarmachung von fossilen Ressourcen zurück geht – und der allgemeinen Industrialisierung der Landwirtschaft entstand infolge von Nahrungsmittel-Überproduktion durch immer weniger Bauern eine Produktions-, später eine Dienstleistungs-Gesellschaft. In diesem System wurde das Privateigentum (unter anderem auch an Grund und Boden) zum zentralen und damit schützenswerten gesellschaftlichen Wert. Es bildeten sich Zivil- und Handelsgesetze, der Rechts- bzw. Nationalstaat und das moderne Bank- und Währungswesen. Diese Entwicklungen mündeten in das europäische Revolutionsjahr 1848, in dem der Feudalismus endgültig verschwand. Das Pferd wurde durch die Eisenbahn und später durch das Automobil abgelöst und mit den Erfindungen von Telefon und Radio machte auch die Kommunikationstechnologie einen grossen Entwicklungsschritt. Seither hat sich das Prinzip des Privateigentums kaum verändert. Soziale Marktwirtschaften scheinen, in Verbindung mit dem demokratischen Herrschaftsprinzip, eine Balance von Besitz und Produktion gefunden zu haben.

Aktuell: Die dritte industrielle Revolution

Handelt es sich bei der gegenwärtigen Entwicklung überhaupt um eine industrielle Revolution? Wenn eine industrielle Revolution immer dann auftritt, wenn der primäre Energieträger umgestellt wird (Stichwort erneuerbare Energien) neue Kommunikationstechnologien (Internet) auftreten und Veränderungen in der Mobilität (autonomes Fahren) nach sich zieht: Ja! Dazu kommen aktuell rasante Fortschritte in der Robotik, beziehungsweise in der künstlichen Intelligenz sowie in den Life Sciences. Erneuerbare Energien und Internet teilen sich zwei Charakteristika: Sie sind dezentral aufgestellt und verursachen nahezu keine Grenzkosten.
«Die rasante technologische Veränderung wird sich auch dieses Mal kontinuierlich und stark politisch, gesellschaftlich und kulturell niederschlagen.«

Matthias Stettler

Wir befinden uns bereits mitten in diesem Wandel: Politisch erodieren seit letztem Jahr in westlichen Demokratien die angestammten Mitteparteien und die dazugehörige Medienlandschaft. Die Gesellschaften werden durch das Internet heterogener. Möglicherweise wird “links versus rechts” auch innerhalb etablierter Parteien von einer neuen Bruchlinie zwischen liberal/global und nationalkonservativ abgelöst. In Zukunft werden wohl vermehrt Vielparteiensysteme, Konkordanz- statt Konkurrenzdemokratien, Subsidiarität und Föderalismus, Bürgerpartizipation sowie Supranationalität Einzug halten. Die Schattenseite davon sind extreme Pendelbewegungen zurück ins vermeintlich Altbewährte. Daten scheinen das neue Gold zu werden – und der Datenschutz den gesellschaftlichen Status des Privateigentums zu erben. Der Arbeitsmarkt verändert sich rasant, mit noch nicht absehbaren Folgen. Vielleicht führt der produktive Überschuss zu einer neuen Freizeitgesellschaft, ähnlich wie einst die Transformation von der Bauern- zur Dienstleistungsgesellschaft. Vor diesem Hintergrund wird das bedingungslose Grundeinkommen ähnlich wichtig wie einst die Einführung der Sozialversicherungen.

Das Internet der Vermögenswerte und die Finanzierung der neuen Gründerzeit

Industrielle Revolutionen sind Gründerzeiten mit enormen Chancen für Unternehmer. Die letzte Gründerzeit hat ein Banken- und Währungssystem hervorgebracht, welches wichtige Infrastrukturprojekte finanzierte: Von der Elektrifizierung, über Eisen- und Autobahnen bis hin zum Ausbau von Agglomerationen inklusive Unternehmen, welche in die Konsumgesellschaft geführt haben. Aber das alte Banken- und Währungssystem erodiert seit der letzten Finanzkrise ebenso wie andere angestammte Industrien und der bestehende Infrastruktur-Kapitalstock. Auch frisches Notenbankgeld und immer höhere Staatsschulden halten diese Entwicklung nicht auf.

Die viel diskutierte Blockchain könnte das fehlende Puzzleteil sein, um die neue Gründerzeit bottom-up zu finanzieren. Dabei handelt es sich nicht nur um den vordergründigsten Anwendungsfall von Digitalwährungen, sondern um die Möglichkeit, Start-ups, Vermögenswerte und dazugehörige Verträge ähnlich wie an einer Börse digital zu kotieren sowie tagesaktuell und hoch transparent zu handeln. Erst vor diesem Hintergrund macht Sharing Economy überhaupt Sinn. Die dazugehörigen Technologien heissen “Smart Contracts” und, im speziellen auf die digitale Kontierung von Anteilsscheinen bezogen, “Initial Coin Offerings” (ICO). Sie würden es ermöglichen, dass alle solche Werte digital halten und handeln können. Für besonders spannend halte ich diese Anwendungsfälle auf erneuerbare Energien bezogen. Einerseits könnte eine breite kleinteilige Community direkt in dezentrale Realwerte investieren. Ein liquider digitaler Marktplatz, ähnlich wie eine Börse, würde sicherstellen, dass die Anteile an diesen langlebigen Vermögenswerten bei Bedarf wieder verkauft werden können. Auch Stromlieferungen (aus der eigenen Anlage), Sicherheiten, Wartungsdokumentation, Entscheidungsprozesse und vieles mehr könnten per Blockchain abgewickelt werden. Alleine im deutschsprachigen Raum arbeiten bereits einige dutzend Start-ups an diesen Themen. Auch wir bei greenmatch sind stolz und engagiert – und zwar dort wo die neue Gründerzeit eingeleitet wird: An der Schnittstelle von erneuerbaren Energien, Internet und Finanzierung.

Weiterführende Literatur: Der hier dargestellte energetische Ansatz der Umweltgeschichte geht auf Prof. Dr. Rolf Peter Sieferle zurück. Vgl. auch die Ausführungen von Jeremy Rifkin in “Die dritte industrielle Revolution: Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter”.

Dieser Artikel ist ebenfalls im Magazin emw.Trends sowie in The Beam erschienen.

Bildnachweis: iStock


Autor

Matthias Stettler, Board member & Founder, greenmatch AG

Matthias Stettler ist Gründer und Verwaltungsratspräsident der greenmatch AG, die weltweit führende Finanzmodellierungsplattform für erneuerbare Energien. Dort ist er für Vision, Strategie, Investoren und Partnerschaften verantwortlich und unterstützt beratend Investoren, Projektentwickler und Banken bei der Finanzierung von erneuerbaren Energieprojekten.

Darüber hinaus steht Matthias Stettler als Managing-Partner der sustainable finance team gmbh Unternehmen in Sachen Corporate-Finance, Strategie und Digitalisierung mit besonderer Expertise in Wachstums- und Turnaround-Situationen beratend zur Seite.

www.greenmatch.ch

Autor:

Matthias Stettler, greenmatch AG

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