Digitalen Wandel gestalten – Chancen und Risiken für die deutsche Wirtschaft, Teil 1

Tags: Digitalisierung

Haben wir die richtige Brille auf?

Eine der größten Herausforderung unserer Gesellschaft – aber auch Chance – birgt die Transformation unserer Produktions- in eine Digital-Gesellschaft. Es geht bei weitem nicht nur um den Prozess der Datenverarbeitung (DV) über die klassische IT-Architektur (Server) zu „Big Data», obgleich schon bezüglich Big Data große Meinungsunterschiede unter den Marktteilnehmern bestehen, was und wie man es definiert (Beherrschung großer Datenmengen, Ausgrenzung durch Data Mining, Erkennen von Mustern und/oder die Ableitung neuartiger Geschäftsmodelle, etc.). Viele Marktteilnehmer betrachten die Auswirkungen von „Industrie 4.0“ und „Internet of Things“ nur sehr eingeschränkt (was „ceteris paribus“ in der Realität anzurichten vermag, können viele Volkswirte sicherlich bestätigen).

Dieser Prozess transformiert die ganze Gesellschaft, wirkt sich auf Produktion und Vernetzung aus, wie wir denken und planen, wie wir Leistungen erbringen und be­steuern, Eigentum (auch virtuelles) definieren und Intellectual Property schützen, zukünftig lernen und die Welt verstehen wollen – und letztlich, wie wir Transfor­mations­gewinne (und –verluste) in der Gesellschaft aufteilen.

Der Analphabet des 21. Jahrhunderts

Der Analphabet des 21. Jahrhunderts wird nicht an seinem Lesevermögen gemessen werden, sondern daran, wie schnell er lernen, vergessen und neu lernen kann. Agilität von Unternehmen fängt bei jedem einzelnen Mitarbeiter an, d.h. wie er seinen eigenen Skill-Set kontinuierlich den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen vermag – die Fähigkeit der Mustererkennung in komplexen Situationen als darwinistischer Vorteil vor reinem Fach- und Detailwissen.

In einem ersten Schritt der Annäherung an dieses Thema muß man sich somit mit der Frage beschäftigen, wie wir uns als Individuen grundsätzlich zu Veränderungen po­sitionieren und neuen Herausforderungen stellen. Eine weitverbreitete Herangehensweise vieler Firmen ist, sich die Frage zu stellen „Ist mein Geschäftsmodell durch Digitalisierung betroffen?“. Daraus ergeben sich auf vielen Ebenen des Managements „Defensivstrategien“, die versuchen, das Althergebrachte abzusichern (sei es durch neue Marketingaktionen, Veränderungen in der Prozesslandschaft oder auch einfach durch Überbewertung des eigenen USP’s) und vom Problem heraus denken.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Diskussion der Banken bzgl. der Fintechs im Bereich „Mobile Banking“. Viele Banken programmierten hauseigene Apps, die dem Kunden letztlich doch nur das „elektronisch“ lieferten, was er ansonsten „klassisch“ erhalten hatte. Defensive Strategien sind auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eher dann umgesetzt werden, wenn die „Bedrohung“ schon erste Markterfolge zeigt. Hätte man sich anfangs eher die pro-aktive Frage gestellt „Was bietet mir die Digitalisierung für Möglichkeiten meinem Kunden ein verbessertes Produktangebot und damit einen höheren oder neuen Kundennutzen zu bieten, aus vorhandenen Datenbeständen neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, meine „Prognosesysteme [1] zu verbessern oder ganz neue zu schaffen oder neue Geschäftsfelder durch die Digitalisierung internen Wissens zu entwickeln?“ – hätten die Banken sicherlich schon interessante, neue Geschäftseinheiten mit neuartigen Leistungsangeboten.

Der Einfluss des Internets auf die Art des Denkens

Eine Gefahr dieses Denkansatzes besteht jedoch darin, Digitalisierung als Mittel zu betrachten, durch Mustererkennung den Verbraucher dem Geschäftsmodell zu unterwerfen und ihm durch Auswertung und Verknüpfung aller Daten den größt­möglichsten Konsum „bedarfsgerecht“ anzubieten – wodurch er letzten Endes entmündigt und manipulierbar gemacht wird. Diese Frage wird schon lange und detailliert diskutiert, was die schon 2010 gestellte „Edge» [2] Jahresfrage: „Wie verändert das Internet Dein Denken?“ zeigt. Sich aus dieser Umklammerung zu befreien, hieße aber auch die Digitalisierung als Kommunikation zwischen der „technischen Welt“ und der „menschlichen Kreativität“ zu begreifen und sie wieder dem „Menschen untertan“ zu machen, d.h. neue Modelle als holistische und „kybernetische Systeme 2. Ordnung [3] zu begreifen – oder übersetzt: „Technik kann nicht die objektive Realität abbilden, aber helfen, subjektive Wahrnehmung zu ordnen und somit wieder persönliche Entscheidungsfreiräume in einer komplexen Welt zu ermöglichen.“ Dieses bedeutet aber in letzter Instanz das Bekenntnis zur persönlichen Entscheidung, im wirtschaftlichen Sprachgebrauch der „unternehmerischen Entscheidung“. Was bedeutet dieses anschaulich? Vielleicht die Frage, ob man einem Fintech vertrauen sollte, welches als Anlage-Plattform höchst effizient erläutert, wie man durch „crowd-wisdom“ oder „robo-advise“ eine bessere Perfomance erhält [4] – oder lieber ein System nutzen sollte, über das transparent relevante Marktdaten über einen zertifizierten Rechenkern so aufbereitet werden, um auf diese Weise Investment-Entscheidungen mit dem subjektiven Weltbild in Einklang bringen zu können.

Es handelt sich also nicht um eine generelle Kampfansage an die Fintechs, sondern die Aufforderung an sie, Systeme und digitale Marktplätze zu schaffen, um den Markt­teil­nehmern wieder das Spiel zu erlauben, das man seit Urzeiten auf Marktplätzen spielt und wo man sich beweisen kann – nicht durch Manipulation, sondern durch Verhandlungs­geschick.

Bei green[::]match arbeiten wir genau an einem solchen Markt und nutzen Digitali­sierung, um Qualität, Schnelligkeit und Transparenz in Marktbereiche zu bringen, die bislang noch durch das Gegenteil gekennzeichnet waren. Investments im Bereich der „real assets“ wurden immer als „kaum vergleichbar“ angesehen. Dies entsprach der Realität, weil es Brüche in der „Lieferkette“ vom Entwickler bis zum Investor gab und alle Marktteilnehmer nur ihren eigenen Herleitungen glaubten. green[::]match hat das geändert und bietet somit die Chance, den ersten, funktionierenden „Digitalmarktplatz“ zu nutzen, der jedem gleiche und transparente Rahmenbedingungen schafft, ihn jedoch nicht entmündigt, eine eigene Meinung über die Annahmen zu treffen / treffen zu müssen.

(Im nächsten Beitrag werden wir uns mit der Frage beschäftigen, ob die USA einen sinnvolleren Weg im Umgang mit diesen Fragestellungen eingeschlagen hat und wie wir für uns aus der Beantwortung dieser Fragen Lösungsansätze für wesentliche Heraus­forderungen der Zukunft ableiten können.)

>> Teil 2 weiterlesen (kann Amerika ein Vorbild sein?)

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[1] Hiermit sind explizit nicht nur Ratingsysteme gemeint, sondern auch Analyseverfahren, die es mir erlauben, Produktbedarfe am „Kundenlebenszyklus“ besser zu planen. „Legendär“ ist hier sicherlich der Fall, in dem Amazon einer Sechszehnjährigen über den Werbeblock permanent Baby-Artikel anbot, worauf sich der Vater darüber beschwerte. In diesem Fall wusste Amazon aus der Auswertung des Such- und Einkaufsverhaltens der Tochter früher über ihre Schwangerschaft Bescheid, als die Familie selbst.

[2] Edge (siehe auch www.edge.org) wurde als Ideen von John Brockman geboren, wobei „Edge“ für die folgende Grundphilosophie steht: „To arrive at the edge of the world’s knowledge, seek out the most complex and sophisticated minds, put them in a room together, and have them ask each other the questions they are asking themselves.”

[3] „Kybernetik zweiter Ordnung“ bezeichnet eine progressive intellektuelle Bewegung in Kybernetik und Systemforschung, die der Erzeugung subjektiver Realitäten im Nervensystem eine Theorie ableitet, die in ihrer extremen Form als Beobachtung der Beobachtung (Beobachtung zweiter Ordnung) den Begriff einer objektiven Realität eliminiert und stattdessen den „Eigenwert“ des kognitiven Systems als Ergebnis von Rekursionsprozessen beschreibt.

[4] Diese Methoden mögen sogar kurzfristig funktionieren (je nachdem, wo man beginnt zu rechnen) – aber was passiert, wenn jeder ein Teil der Crowd ist und alle den gleichen Robo-Advisor benutzen? Und wo bleibt der Spaß am Spiel & Wettbewerb, wenn die Welt gleichgeschaltet ist?


Autor

Harald Zenke, Inhaber Strategy & Finance Advisory
Strategy & Finance Advisory ist eine inhabergeführte Beratungsgesellschaft, die sich als Entwickler sowie Umsetzungsbegleiter von Produkt- und Prozessinnovationen sowie neuartigen Geschäftsmodellen im Finanzdienstleistungssektor versteht. Harald Zenke verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung im Bereich der erneuerbaren Energien und Projektfinanzierung, u.a. als CEO der KfW IPEX-Bank und EVP Corporate Finance der LBBW. www.strategy-and-finance.de

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Harald Zenke

Inhaber Strategy & Finance Advisory

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